Bestandszertifizierung
Eigentlich sollte in der IMMOBILIENWIRTSCHAFT so schnell kein Artikel mehr über Nachhaltigkeitszertifikate erscheinen. Das Thema ist ausgelutscht. Und jetzt doch. Warum? Erstens, weil Anrufe in der Redaktion („Grüß Gott, ich wollte nachfragen, wer bei der ÖGNI für LEED zuständig ist“) zeigen, dass noch lange nicht alle kapiert haben, wer was macht. Zweitens – und das ist viel dringlicher –, weil nun langsam Bewegung in die Bestandszertifizierung kommt.
Wir ersparen uns hier aber das übliche Blabla über Nachhaltigkeit und dass es immer mehr zur Haltung von Unternehmen wird, dass sie nicht direkt in höheren Mieten messbar ist und dass sie allgemein für niedrigere Betriebskosten sorgt. Wissen wir. Die umweltfreundlichste Immobilie ist trotzdem die, die nicht gebaut wird. „Stoppt den Neubau“, provozierte daher Daniel Fuhrhop im Gastkommentar unserer letzten Ausgabe. Der Schlüssel für eine wirklich nachhaltige (Immobilien-)Welt liegt nicht im Neubau, sondern im Bestand. Er macht die Masse auch, nur mit ihm kann etwas grob verändert werden.
ÖGNI Bluecard
Mit den derzeitigen Sanierungsraten können wir die EU-Ziele nie erreichen, predigt ÖGNI-Präsident Philipp Kaufmann seit Jahren. Die ÖGNI führte daher die Bluecard ein, ein schnelles, aber auch simples Checkinstrument, ob ein Bestand nachhaltig ist. Für Kritiker zu simpel, und vieles davon würde ohnehin mit der Ökologisierung der Bauordnung zum verpflichtenden Standard werden. So sehe die Novelle der Wiener Bauordnung „Maßnahmen zur Wahrung der Sicherheit“ vor. Eigentümer werden verpflichtet sein, ein Bauwerksbuch zu führen, in dem Instandhaltungsmaßnahmen und die Ergebnisse von regelmäßigen Überprüfungen dokumentiert werden. Kaufmann rechtfertigt seine Bluecard mit der Notwendigkeit, schnell zu handeln. Die DGNB hat ihre offizielle Bestandszertifizierung übrigens gerade erst im Endstadion, diese sollte dann auch inhaltlich tiefer gehen als die Bluecard derzeit.
BREEAM In-Use
Nun zieht BREEAM nach und bringt das erste umfassende Zertifizierungslabel für den Bestand nach Österreich – BREEAM In-Use (siehe Interview). Das Bürogebäude City Point in Wien, das Einkaufszentrum VARENA in Vöcklabruck und das Business Center Muthgasse sind etwa unter den ersten österreichischen BREEAM-Bestands-Ausgezeichneten. Das DIFNI, die offiziellen „Lizenzinhaber“ für die DACH-Region, hat dafür gesorgt, dass eine Vielzahl österreichischer Standards und Normen von BREEAM bei der Zertifizierung akzeptiert werden und dass eigene österreichische Auditoren-Ausbildungen stattfinden. Freilich gibt es auch an dem BREEAM-System Kritik. Die wesentlichste: Zertifiziert kann in drei Bereichen werden – im Gebäude, im Betrieb und im Management. Um eine Plakette zu bekommen, reicht es, einen Teil zu machen. Potenzielle Käufer eines Objektes sollten also vor allem auch die anderen (nicht zertifizierten) Bereiche abklopfen.
LEED EB:OM
Und der Dritte im Bunde der internationalen Zertifizierungssysteme? Er heißt LEED und verfügt ebenso über eine Bestandsvariante namens LEED EB:OM. Eine Aufschlüsselung der einzelnen LEED-Zertifizierungsarten zeigt den klaren Trend zu Bestandszertifizierungen (siehe Grafik). Oft wird LEED als eher oberflächliches System abgehandelt. Das rührt vor allem auch daher, dass es aus den USA stammt und in seiner Internationalisierung eine etwas andere Strategie eingeschlagen hat. Ursprünglich wollte das US Green Building Council (USGBC) für jedes Land eine eigene Systemvariante schaffen, kam dann aber recht schnell drauf, dass die Länderorganisationen (wenn überhaupt vorhanden) dafür zu schwach waren. Nun will man das Ganze großflächiger angehen und hofft auf die Arbeit regionaler Vertretungen: In Deutschland versucht etwa der private Verein GGBA (German Green Building Association) die europäischen Standards für die Amerikaner verständlich zu machen, damit diese in einer LEED-Zertifizierung dann auch gelten. Österreich hinkt hier nach. Es gibt keine Vertretung in Österreich und somit auch keine Österreichs bei LEED. Sucht man einen offiziellen Österreich-Repräsentanten, befindet man sich im luftleeren Raum. Das heißt auch: In Österreich gibt es keine Möglichkeit zu alternativen Nachweispflichten, es muss nach amerikanischen oder in (zum Beispiel von GGBA) ausverhandelten europäischen Normen nachgewiesen werden.
Was LEED EB:OM im Vergleich mit den beiden anderen Systemen zugute kommt: Es gibt eine tatsächliche Benutzer-Befragung. Zum ersten Mal spielen also die Mieter auch eine Rolle. Wermutstropfen: Der Punkt ist nicht verpflichtend, und „viele machen das gar nicht, weil es sehr aufwändig ist und viele es gar nicht wissen wollen“, erzählt Judith Wendelin von ALPHA Energy & Environment Austria. Spricht ja eigentlich nicht für die Gebäude und auch nicht für die Investoren, wenn sie ihre LEED-Punkte lieber woanders sammeln. Interessant ist übrigens auch, dass zwar seit November 2013 die deutlich härtere LEED-Version 4 gültig ist, bis Juni 2015 kann allerdings noch nach der alten Version eingereicht werden. Kay Killmann vom GGBA: „Ja, die Systemversion 4 wird härter. Da kann man schon mal ein Label runterrutschen.“
Echtzeitzertifikate
Genaue Vergleiche der Bestandszertifikate gibt es noch nicht. Solche Gegenüberstellungen gibt es gerade einmal für die Neubauvarianten (siehe Grafik unten). Und was bringt die Zukunft? Bei den grünen Mietvertragsklauseln (Green Leases) werden die Mieter miteingebunden und zur Einhaltung/Erbringung bestimmter Punkte verpflichtet. Macht das Ganze natürlich nicht einfacher. Auch, weil es hier natürlich noch lokaler als bei – sagen wir einmal – nachhaltigen Bauarten zugeht. Allgemein gültige Vorschläge liegen bereits am Tisch, die Anwaltskette CMS hatte vor rund einem Jahr 20 solcher Klauseln öffentlich ins Netz gestellt. Die nationale Adaptierung vieler solcher Vorschläge muss allerdings noch passieren.
Dass sich die unterschiedlichen Zertifikatsanbieter irgendwann vereinheitlichen, kann sich derzeit niemand vorstellen. Zu unterschiedlich sind die Auffassungen und zu viel Geld lässt sich damit verdienen.
Für Judith Wendelin von Alpha E + E riecht die Zukunft eher nach einem Echtzeitzertifikat. Dabei wird interaktiv der Benutzer miteinbezogen (etwa wie er die Heizung regelt) und in Echtzeit ein Output geliefert, der wiederum Feedback für andere Gebäudebenutzer sein kann. Durchschnittswerte daraus könnten dann Basis für eine Bewertung bzw. für eine Due Dilligence sein.