Klimaschäden auf Objektebene abschätzen
Sven Bienert und Jens Hirsch haben an der Universität Regensburg ein Forschungsprojekt zur Identifikation von Naturrisiken in der Immobilienwirtschaft gestartet. Output: ein Webtool, das Entwicklern und Eigentümern individuelle Standort-Risiken vorhersagt und in monetäre Werte umwandelt.
Alle reden von CO2 oder von Nachhaltigkeit als Wischiwaschi-Marketingbegriff. Das Forschungsprojekt, das Sven Bienert, der in Österreich seit Jahren als Bestandteil der Immobilienwirtschafts-Expertise gilt, am IREBS-Institut in Regensburg in Angriff genommen hat, ist aber viel vorausschauender. Es geht um jene großen Veränderungen, die einen Immobilienfonds in Nullkommanix zerstören können, über die aber bislang niemand geredet hat – mit Ausnahme der Niederlande. Die müssen sich nämlich ernsthaft Gedanken machen, was denn passiert, sollte der Meeresspiegel steigen. Im Nu sind die Vermögenswerte futsch. Fakt ist: Auch bei uns – in Deutschland und in Österreich – nehmen die Extremwetterereignisse zu. Mit Immorisk wurde ein Werkzeug geschaffen, das auf Ebene einzelner Immobilien diese Risiken quantifiziert.
Die Daten, mit denen gerechnet wird, stammen aus einem anerkannten Klimamodell und aus der Versicherungswirtschaft, die sich zwangsläufig bereits mit den Wetterkapriolen auseinandergesetzt hat. Mehrere Millionen oder gar Milliarden Euro Schaden entstanden etwa bei dem „letzten großen Jahrhunderthochwasser“ (allein diese Bezeichnung verweist auf eine unabsehbare Häufung solcher Ereignisse). Die Münchener Rück rechnet mit einem dramatischen Anstieg solcher Schadensereignisse. Bienert und sein Team verknüpften also Daten der Versicherungen und des Klimamodells und programmierten ein frei im Web zugängliches Werkzeug.
Für Private und Institutionelle
Somit können private Häuslbauer genauso wie Fondsmanager Immorisk nutzen. Nachdem man seine individuelle Adresse eingegeben hat, wird man beim Erfassen eines neuen Objektes nach Details wie Gebäudetyp, Baujahr, Bruttogeschoßfläche, Dachform etc. gefragt. Wer möchte, kann auch ein Foto in die Datenbank einspeisen, eine Luftbildaufnahme wird automatisch eingeblendet. Auch Konkretisierungen zu der Konstruktion der Außenwände (Beton, Ziegel, Holz, Stahlbeton usw.) sowie energetische Details werden abgefragt. Insgesamt sind 14 Punkte anzukreuzen – also keine Hexerei. Danach kann man schon die Auswertung betrachten. Als Erstes ist eine allgemeine Gefährdung des Standortes zu sehen. Angezeigt werden die Gefahrenpotenziale bei Sturm, Hochwasser, Hagel, Hitze, Starkniederschlag, Waldbrand, Blitzschlag und Überspannung. Durch ein simples Farbsystem sind die einzelnen Gefährdungen leicht erfassbar, ein zusätzlicher Pfeil gibt Auskunft darüber, ob für die Zukunft mit einem Anstieg oder Rückgang der jeweiligen Gefahr gerechnet werden kann.
Risiko in Geld umgerechnet
Eine zweite Grafik bewertet das Risiko der Immobilie schließlich quantitativ – also in Geld. Sie zeigt den jährlich zu erwartenden, in Euro ausgedrückten Schaden bei Sturm, Hochwasser und Hagel. Dabei kann teilweise der erwartbare Schaden heute und jener, mit dem 2050 gerechnet werden muss, verglichen werden. Zudem finden sich Angaben zur Spannweite möglicher Schäden. Statistisch ausgedrückt liegt der durchschnittliche jährliche Schaden mit 90-prozentiger Wahrscheinlichkeit innerhalb des durch die beiden Werte begrenzten Bereichs.
Neue Betrachtungsweise für ein Portfolio
Wer an mehr als einem Standort interessiert ist, kann sich auch ein Portfolio anlegen. Spannend wird es sicherlich, wenn begonnen wird, ein Portfolio einer AG mit dem innovativen Tool zu beleuchten – dann wird sich ganz unabhängig von der Anzahl der zertifizierten Objekte zeigen, ob das Portfolio auch klimatechnisch für die Zukunft gerüstet ist. Noch ist das aber so leider nicht möglich. Derzeit gibt es nämlich nur 15 Pilotstandorte in Deutschland, wobei das System laut Bienert sofort auf Österreich erweitert werden könnte: „Dazu sind in erster Linie entsprechende Daten zur Gefährdungssituation nötig. Teilweise sind diese sogar bereits vorhanden und müssten nur entsprechend aufbereitet werden. Der Ansatz selbst ist übertragbar. Aufgrund der vergleichbaren Baukultur müssten die verwendeten Vulnerabilitätsmodelle nur etwas angepasst werden.“
Die Pilotdatenbank ist hier abrufbar.