Circular City

TREND Kreislaufwirtschaft

Die Stadt kann man auch als Materiallager fürs Planen und Bauen sehen. Mit steigenden Kosten für Baustoffe wird das Re-Use-Prinzip interessanter.

Dem Recyclinghaus in Hannover ist anzusehen, dass es außergewöhnlich ist. Auffällig ist die Mischung der Baumaterialien an der Fassade. Zu 50 Prozent besteht es aus wiederverwendetem Material. Die Profil­gläser und praktisch alle Fassadenelemente sind woanders abgetragen und hier ein­gesetzt worden: Fenster, Eternitplatten und Wellblechteile. Die Holzelemente waren im früheren Leben Saunabänke. Vielleicht sehen bald mehr Einfamilienhäuser so aus, dann nämlich, wenn klimagerechtes Bauen zum Standard erhoben wird.

Gebirge aus Bauschutt


Beim deutschen Zentrum für Ressourcen­effizienz wird der Materialaufwand beim Neubau angeprangert: „An Bau- und Abbruchmaterialien fließen jährlich 209 Mil­lionen Tonnen aus dem Baubereich ab, was 52 Prozent des deutschen Abfallaufkommens entspricht.“ Sagenhafte 15 Milliarden Tonnen würde das Materialendlager vom deutschen Hochbau bereits ausmachen. Das Bau- und Immobilienunternehmen Gundlach hat mit dem „Recyclinghaus“ im Selbstversuch getestet, ob es auch anders geht. „Die Abwicklung des Projekts musste agil ablaufen“, zieht der technische Leiter, Franz Josef Gerbens, Bilanz, und gelernt hat man vor allem eines: „Der klassische Planungs- und Baugenehmigungsprozess ist für so etwas nicht gedacht.“ Flexibilität habe bei diesem Projekt nämlich oberste Priorität haben müssen. Sind Angebote zur Demontage von Bauteilen bei „Rückbaustellen“ eingegangen, habe man schnell reagiert und es wurde umgeplant. Viel war mit dem Materialzufluss zufällig verlaufen, aber unglücklich über das Endergebnis ist man trotzdem nicht: „Die Bauteile haben nicht nur eine Gestaltung, sondern auch eine Geschichte.“ Nur weil alle ­Beteiligten an einem Strang zogen, hätte das ­Bauen nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip funk­tio­niert. Nicht alles an dem Gebäude ist gebraucht. Manches ist ein Recyclingprodukt, wie der Beton der Bodenplatte. Die Holzteile im Kern sind überhaupt extra gefertigt. Der Grund, warum das trotzdem seine Ordnung hat, ist die volle „Re-Usa­bility“. Die Holzplatten sind nicht verleimt und können daher sortenrein demontiert und auch noch einmal verbaut werden.

Re-Use am Bau


Kreislaufdenken beim Planen und ­Bauen steht noch ganz am Anfang. Den „­Materialnomaden“ aus Wien ist es ein Anliegen, das Thema voranzubringen. Die Gruppe aus Planerinnen und Planern hat die volle Expertise rund ums Thema Re-Use anzubieten. Beim Rückbau werden von ihnen die noch wertigen Dinge identifiziert und unter Erhaltung der Funktionsfähigkeit ausgebaut. Nach Aufbereitung entstehen immer wieder „limited editions“ von dann neu vermarktbaren Produkten. Zum Beispiel waren beim ehemaligen OMV-Bürohaus in der Grellgasse in Floridsdorf Fassadenelemente „geerntet“ worden. Nun werden sie wiederbelebt, und zwar als Straßenmöblierung für die Wohnbauten, die am Standort entstehen. „Damit mehr Bauteile in Neuplanungen wieder eingesetzt werden, braucht es ein Umdenken“, sagt die Geschäftsführerin Andrea Kessler. Abgeschlossene Planungen mit darauf folgenden Beschaffungsvor­gängen ließe für Re-Use keinen Spielraum. Die Materialnomaden wollen Architekten mit ihrem Re:Store online zum Einplanen der ausgebauten Teile einladen. Kessler betont die Verlässlichkeit trotz Gebrauchtheit: „Bauteile werden auf ihre Qualität nachkontrolliert und bei Bedarf auch neu zertifiziert.“ Die volle Einsetzbarkeit von Stahlträgern zum Beispiel könne gewährleistet werden. Das Baunebengewerbe sei mit der Aufgabe allerdings überfordert, und daher mache man das selbst.

Beim „Baukarussell“ verweist man bei den bisher betreuten Projekten auf eine Re-Use- Quote von 46 Prozent.

„Damit mehr Bauteile in Neuplanungen wieder eingebaut werden, braucht es ein Umdenken.“

Andrea Kessler,
Geschäftsführerin
Materialnomaden

Up- statt Recycling


Bei den Materialnomaden stellt man fest, dass die Neuverwertung stark in ­Kon­kurrenz zur Abfallwirtschaft steht. Entsorgungsbetriebe würden das lukra­tive Geschäft mit dem Bauschutt ungerne aufgeben. Die Kosten der Entsorgung würden beim Neubau noch nicht eingerechnet werden. Unverständlich sei das, da diese mitunter sogar „die Einkaufspreise der Produkte übersteigen“. Kessler sieht genau darin die Benachteiligung: „Mit den Preisen von neuen Bauprodukten können Re-Use-Produkte nicht mithalten.“ Kosten­wahrheit für Rückbau und Entsorgung von Materialien müsse dringend herbeigeführt werden. Reines Recycling sei laut Kessler jedenfalls keine Alternative: „­Up­cycling ist um ein Vielfaches effektiver, weil die graue Energie, die im Produkt steckt, nicht verloren geht.“ Ein Recyclieren als Ziegelschutt könne zum Beispiel die energie­intensive Herstellung neuer Ziegel nicht ersetzen. Betonherstellung würde die Atmosphäre mit CO2-Mengen belasten, die gar mehr auf die Waage bringen als der Beton selbst. Das und die Klimaschutzziele auf europäischer Ebene könnten für die Bau- und Immobilienwirtschaft triftige Gründe sein, sich neu auszurichten.„Zu 98 Prozent sind unsere Städte schon ­gebaut“, stellt Kessler fest. Daher ­müsste man sich den materiellen Wert vom ­Bestand bewusst machen.

Circular Economy


Ein Anfang in diese Richtung wurde vor fünf Jahren mit der Novelle zur Baustoffverordnung gesetzt. Seit damals muss vor Abbruch eine Materialerkundung durch­geführt werden. Jenen arbeitsinten­siven Prozess konsequent und doch kosten­deckend abzuwickeln ist nicht leicht. Bei der Re-Use-Organisation „Baukarussell“ ist man deshalb für die regelmäßige Mit­hilfe von Langzeitarbeitslosen dankbar. Der ­Abriss für die neue BUWOG-­Zentrale wurde unter deren Beteiligung in 3.450 Arbeits­stunden vorbereitet. ­Gewonnen und wieder in den Kreislauf eingebracht hat man dabei 74 Tonnen ­Material. Über die „Aufbereitung als Rohstoff“ seien rund 90 Prozent irgendwo wieder verwendet worden. Ziviltechniker Thomas Romm verweist als Sprecher des Baukarussells auf ein Geschäftsmodell, das neben sozialökonomischen Arbeitskräften auf drei Säulen beruht: „Wertstofftrennung, Wiederverwertung von Bauteilen und die Ersparnis durch den ­rechtskonformen Rückbau.“ Auch andere prominente Bauplätze, wie jenen der ehemaligen Cola-­Fabrik am Wienerberg, hat man betreut. 130 Personen waren bisher unter Aufbringung von 25.000 Arbeitsstunden fürs ­Baukarussell tätig, und 575 Tonnen Material sind der Wiederverwendung zugeführt worden. Aus den Rückbauten zieht Thomas Romm für Neuplanungen Lehren: „Der richtige Zeitpunkt, um über Rückbau nachzudenken, ist schon beim Neubau.“ Was in Gebäuden verbaut ist, wisse man viel zu oft gar nicht. Ein Materialpass, der in Zukunft mitgegeben werden soll, steht daher zur Diskussion.

Ein Schwesternheim im Gelände des AKH wird dank Rückbau und Umbau zum Bürohaus. Der Kern bleibt erhalten,
was die CO2-Bilanz verbessert.

Abreißen unnötig


Gebäude mit viel Volumen baut man neuerdings sowieso lieber um als neu. Das leer gewordene Orthopädische Krankenhaus in Gersthof wird zum Beispiel ein Schulbau. „So bleibt die Immobilie im Sinne der Nachhaltigkeit nutzbar“, sagt BIG-Geschäftsführer Wolfgang Gleissner. Das Erhalten von Gebäuden geht neuerdings auch mit der Schonung von Ressourcen einher. Statt es abzureißen, baut der Wiener Gesundheitsverbund ein ehemaliges Schwesternheim im Areal des Alten AKH lieber zu einem Bürohochhaus um. Umnutzung kann auch Rendite bringen, wo sonst keine mehr zu ­holen ist, und der Nachhaltigkeitseffekt ist die Draufgabe. „Bei unseren Umnutzungsprojekten wird erst einmal rückgebaut und es bleibt die reine Stahlbetonkonstruktion“, erläutert Friedrich Gruber, Vorstand der 6B47 Investors. Vom Büro- zum Wohnkomplex mutieren ließ man den Bau Althan Park. Auf ökologischen Nutzen und weniger Baustellenverkehr im sensiblen urbanen Umfeld wird verwiesen. Seit über zehn Jahren beschäftigt sich die Immobilienr­endite AG mit der wenig spektakulären, aber wirkungsvollen Anpassung von Bestandsbauten. Nach­nutzungspläne für Büro- und andere Gebäude mit Einzelraumvermietung werden hier gewälzt. „Mit unseren Projekten beweisen wir, dass Upcycling auch im Immobilien­bereich möglich ist, und das zum Vorteil von Mietern, Käufern und Investoren“, sagt Vorstand Mathias Mühlhofer. Auch Wanda sei einst als unbekannte Musikband eingemietet gewesen. Als „Garage Band“ hatte sie eine Location am Handelskai genutzt, um den Durchbruch zu schaffen.