Marktversagen und goldene Kartoffeln

Wohnungen sind rar, Grundstücke auch. In einem Round Table mit Branchenexperten ging die Immobilienwirtschaft der Frage nach, wie schneller mehr Wohnraum geschaffen werden könnte.

Die Diskutanten

1 Martin Bartl Bauherren- und Investorenberater, Projektentwickler one8one, www.one8one.at
2 Roland Pichler Bauträger, Die Wohnkompanie, www.wohnkompanie.wien
3 Wolfgang Amann Wohnbauforscher und Berater, IIBW Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen GmbH, www.iibw.at
4 Heimo Rollett Chefredakteur Immobilienwirtschaft, moderierte die Diskussion
5 Cyrus Asreahan Bauträger, C&P Immobilen, www.cp-ag.at
6 Otto Kauf Bauträger, FLAIR Bauträger, www.flair.at
7 Christian Farnleitner Bauträger, IC Development, www.ic-development.at
8 Winfried Kallinger Bauträger, Kallco, www.kallco.at
9 Rainer Schönfelder Shareholder, You will like it Group, www.you-will-like-it.at

Gibt es zu wenige Grundstücke für den Wohnbau in Wien oder woran hapert es,
dass nicht mehr gebaut werden kann?
Kallinger:
 Wir haben eine Notsituation, was Wohnungen betrifft. Eine quantitative Knappheit der Grundstücke sehe ich hingegen nicht. Ich denke aber, dass die Grundstücke zu wenig entwickelt sind. Es fehlen die entsprechenden Widmungen, die Infrastruktur; die Stadtplanung hinkt hinterher.
Farnleitner: Der Rohstoff ist schon da, aber in präferierten Lagen wird es halt knapp.
Pichler: Die Grundstücksflächen sind schon da, wobei noch viel mehr zur Ver­fügung gestellt werden sollte.
Kauf: Es wird tatsächlich in der Praxis immer schwieriger, Grundstücke zu bekommen bzw. darauf preiswert und in ausreichendem Ausmaß zu bauen – aus vielerlei Gründen – sei es wegen der Behörden/Stadtplanung, wegen der Preisvorstellungen des Eigentümers oder zum Beispiel auch der Stellung der Nachbarn: Wenn ich heute auf einem Baugrund baue, kann ich fast fest damit rechnen, dass ich Einsprüche bekomme, nur um sich diese finanziell ablösen zu lassen. Nachbarn können ein Projekt also beliebig ver­zögern und dafür nicht schadensersatzpflichtig gemacht werden. Das kann’s auch nicht sein.
Bartl: Richtig, es sind auch, aber nicht alleine die Grundstückspreise und Behörden, die es Wohnungsentwicklern schwer machen. Die Wohnrechtsnovelle 2015, die Steuerreform 2015/2016 mit der Erhöhung der Immobilienertragssteuer und der Inflationsabschlag bei der Verwertung hemmen die Investitionsbereitschaft von inter­nationalen Investoren. Es werden Jahr für Jahr laut den Statistikern zu wenige Wohnungen gebaut – wir könnten wesentlich mehr Wohnraum schaffen, wenn wir bessere und noch attraktivere Rahmenbedingungen für internationale Investoren schaffen.
Kallinger: Die Hemmnisse sehe ich so nicht. Die teils unglaublichen Privilegien der Immobilienwirtschaft sind relativiert worden. Es hat keine andere Branche gegeben, die nach zehn Jahren steuerfrei ein Handelsobjekt verkaufen durfte.
Farnleitner: Das derzeitige Mietzinsrecht macht es unattraktiv, Wohnraum zu sanieren. Tausende Wohnungen stehen daher leer und werden nicht vermietet. Das verschärft die Knappheit der Wohnmöglichkeiten zusätzlich.
Kallinger: Ja, das ist bis zu einem ­gewissen Grad auch ein politisches Branchen­versagen.

Ist es überhaupt richtig, die Diskussion immer nur auf Wien zu beschränken? Der Speckgürtel wird doch immer größer und weiter …
Amann:
 Aus meiner Sicht, wäre es hoch an der Zeit, dass man, wenn man über den Wiener Markt spricht, das Umfeld von etwa 80 Kilometer rund um die Grenzen der Bundes­hauptstadt in die Diskussion mit einbezieht. Es gibt eine immense Nachfrage in der gesamten Region. Das macht es freilich nicht einfacher, weil es in Niederösterreich eine andere Bauordnung gibt und jede Gemeinde ihr eigenes Süppchen kocht. Ein stärkeres Engagement des Landes Nieder­österreich wäre gefragt.
Schönfelder: Völlig richtig. Da gibt es die Gemeinden auf der einen Seite, das Land auf der anderen. Wir haben vier Jahre lang an einem Projekt in Niederösterreich gearbeitet und viel dabei gelernt. Jetzt können wir es realisieren, auch weil die Gemeinde Mistel­bach es wirklich versteht, gemeinsam zu agieren. Ohne solche Partner ist es schwer.
Amann: Da muss das Land Niederösterreich über die Gemeindegrenzen hinweg eine Vorstellung entwickeln, wie ein großstädtisches Wiener Umland entstehen kann. Mit den Bürgermeistern alleine ist das nicht zu machen. Es gibt hier zwar ein paar Kooperationsformate, wie das Stadt-Umland-Management, die sind aber völlig zahnlos.
Schönfelder: Das ist definitiv so. Wie soll ein Bürgermeister, der wiedergewählt werden will, eine starke Widmungspolitik machen können?

Kann ein freifinanzierter Bauträger unter den aktuellen Bedingungen überhaupt günstigen Wohnraum schaffen?
Asreahan:
 Ein klares Ja! Trotz der erschwerten Rahmenbedingungen und der Knappheit bei Liegenschaften ist sehr wohl leistbarer Wohnraum möglich. Ein wichtiger Weg ist es, die Ansprüche der Mieter zu verstehen. Denn die haben sich in letzter Zeit verändert. Ein Pärchen in der Stadt braucht nicht 70 Quadratmeter und mehr, sondern die richtigen Funktionen, Optimierungen und Qualität. Diese können auch durch intelligente Planung auf weniger Fläche untergebracht werden, und damit wird die Wohnung leistbarer und lebenswerter.
Amann: Der untere Mittelstand wird im Eigen­tumswohnungsbau sträflich vernachlässigt, ähnlich wie in Osteuropa ­haben viele Bauträger zu viel im gehobenen Bereich – darunter verstehe ich Kaufpreise ab 4.000 Euro pro Quadrat­meter – gebaut. So stark wie im Osten ist das Ungleichgewicht zwar nicht, aber in der Tendenz haben wir ein Marktversagen.
Pichler: Ja, wobei das deutlich schwieriger geworden ist als vor einigen Jahren. Unser Unternehmen ist nur im freifinanzierten Wohnbau tätig, und wir würden sehr ­gerne auch viel günstigeren Wohnraum schaffen. Wenn ich günstigen Wohnraum mit dem Kaufpreissegment unter 4.000 Euro pro Quadratmeter gleichsetze, geht sich das bei den heutigen Grundstückspreisen aber zumeist nicht aus.
Schönfelder: Der durchschnittliche Familienvater geht zur Bank, und das Pouvoir des Bankers liegt bei 300.000 Euro. Für solche Menschen müssen wir bauen. Und da habe ich dann wenig Verständnis für Grundstücksabgeber, die für Grünland den eventuell kalkulierten Baupreis verlangen, obwohl es noch gar nicht für Wohnen gewidmet ist. Da werden die Kartoffeln vergoldet.
Amann: Was man schon sagen kann: Die Stadt Wien hat notorisch den Bedarf an Wohnungsneubauten unterschätzt. In den 2000er-Jahren wurden 8.000 Wohnungen als Bedarf geschätzt, die letzte Prognose lag bei 12.000. Nach unserer Schätzung sind es aber über 17.000 pro Jahr allein innerhalb der Stadtgrenzen.

Warum fehlen denn die Wohnungen im unteren Segment?
Kauf:
 Der geförderte Wohnbau hat immer höhere Qualitätsauflagen bekommen und baut auf einem wirklich großartigen Niveau. In Wien gab es dann noch eher heruntergekommene Mietzinshäuser, in denen günstig gewohnt werden konnte. Mit Initia­tiven wie der Sockelsanierung etc. wurde aber auch diese Möglichkeit zunehmend weniger. Es entstand ein Loch, eben bei den günstigen, leistbaren Wohnungen im unteren Einkommenssegment, auf das freifinan­zierte Bauträger nicht reagiert haben.
Farnleitner: Müssen wir uns an der Nase nehmen? Nein – als private Unternehmen ist es unser oberstes Ziel, unserer unternehmerischen Verantwortung nachzukommen. Als freifinanzierter Bauträger können wir die Politik gerne unterstützen, aber nicht alle Probleme lösen.
Kallinger: Es ist erstaunlich, wie wenig die Bauträger in den letzten Jahren ver-sucht haben, in der Lücke des leistbaren Wohnraums Fuß zu fassen. Die Branche ist ­träge. Man nehme nur das Sofortprogramm der Stadt Wien: Hier sollen 1.000 Wohnungen innerhalb enger Kostengrenzen mit attraktiver Förderung temporär errichtet werden. Sie werden auf Grundstücken, die eigentlich anders gewidmet sind, errichtet. Nach 15 ­Jahren werden sie dann entweder an die ­Widmung angepasst oder woanders aufgebaut. Dem Call für das Sofortprogramm sind aber nur wir und ein gemein­nütziger Bauträger gefolgt. Wir allein bauen 230 Wohnungen. Für fast 600 Wohnungen hat sich kein Bauträger gemeldet!

Halten Sie Infrastrukturabgaben für gewidmetes, brachliegendes Bauland oder eine zeitlich befristete Baulandwidmung für ein geeignetes Instrument gegen Bodenspekulationen?
Amann:
 Die Hortung von Bauland ist volkswirtschaftlich eindeutig schädlich.
Pichler: Eine Baulandaktivierung ist notwendig und eine Widmung auf Zeit ­deswegen aus meiner Sicht absolut sinnvoll. Eine Beschleunigung und Sicherheit in den Verfahren ist erforderlich.
Farnleitner: Also ganz ehrlich: Infrastrukturabgaben halte ich schon für bedenklich. Wenn etwa die Gemeinde umwidmet und man zum Bauen verpflichtet wird, ist das bizarr. Beispiel: Ein Supermarkt-Angestellter erbt ein Grundstück, das wird irgendwann umgewidmet. Dann muss er das Grundstück verkaufen, nur weil er sich die Abgabe nicht leisten kann.
Bartl: Nebenbei bemerkt, müsste das ­Prinzip ja auch umgekehrt gelten: Wenn zuerst Bauplätze uneingeschränkt gewidmet sind und dann plötzlich die Behörde nur mehr zwei Wohnungseinheiten zulässt, müsste der Grundstückseigentümer seitens der Behörde auch etwas dafür bekommen, da das Grundstück mit der neuen Beschränkung abgewertet wurde.
Asreahan: Warum muss man mit Strafen oder Abgaben arbeiten? Sollte es nicht eher umgekehrt sein, nämlich dass man dafür belohnt wird, ein Anreizmodell sozusagen, wenn man schneller baut? Das könnte finanzieller Natur sein oder in Form von Lockerungen bei behördlichen Auflagen und dergleichen …
Schönfelder: … motivieren statt strafen – damit könnte man viel verändern!
Kauf: Vielleicht sollte man hier nicht so schwarz-weiß denken. Es müsste Abstufungen geben. Wenn eine Stadt langfristig plant, kann man auch über Jahre hinweg unterschiedlich „harte“ Grenzen setzen – und erst am Ende steht eine verpflich­tende Abgabe des Grundstücks.
Kallinger: Natürlich steht der partnerschaftliche Ansatz im Vordergrund. Wenn es um wirklich brachliegendes Bauland geht, für das bereits Infrastruktur geschaffen wurde, könnte ich mir aber eine Enteignung vorstellen, bei Straßen oder Wegen regt sich niemand darüber auf, mit der Enteignung wird ja schließlich nur der objektive Wert festgestellt. Ohne regulatorische Maßnahmen zur Baulandmobilisierung wird es wohl nicht mehr lange gehen, es geht darum, das öffentliche Interesse daran neu zu definieren.

„Man muss das gemeinsam angehen, die Stadt kann ja nicht alle Kosten alleine tragen.“
Winfried Kallinger

Städtebauliche Verträge regeln die Zusammenarbeit zwischen einer Kommune und privaten Investoren. Wie sind Ihre Erfahrungen damit?
Kallinger:
 In Wien ist es so, dass die Widmung nicht verkauft werden darf. Aber die Stadt sagt klar, was sie an Gegenleistungen erwartet – um Beispiel die Überplattung von Straßen, die Errichtung eines Kinder­gartens etc. Das ist ein ganz normaler Prozess des Zusammenarbeitens zwischen Bauträgern und der Stadt. Man muss das gemeinsam angehen, die Stadt kann ja nicht alle Kosten alleine tragen. Ziel ist ein partnerschaftliches Win-win-Ergebnis.
Bartl: Ich halte das deutsche Modell allerdings für transparenter. Dort handelt es sich um einen zivilrechtlichen Vertrag, der genau regelt, für welche Leistung welche Gegenleistung gebracht werden muss – also zum Beispiel bei soundsoviel neuen Wohnungen müssen zwei neue Schulklassen mit dem Betrag X ermöglicht werden etc. Da kann sich niemand durch­schwindeln. Diese klaren Regeln vermisse ich bei uns.
Farnleitner: Das generell und universal zu regeln, ist meiner Meinung nach nicht der richtige Weg. Es hängt einfach stark von der Lage und den Gegebenheiten ab. Für den Bauträger ist das Ganze nicht so schwierig, er kann ja immer leicht entscheiden, ob er auf die Forderungen der Stadt eingeht oder nicht, das lässt sich alles kapitalisieren und somit ausrechnen.
Kauf: Ich halte den städtebaulichen Vertrag für etwas grundsätzlich Gutes. Es gibt aber Punkte, die ich nicht richtig finde, etwa bei größeren Straßen. Völlig okay, dass diese von den Bauträgern bezahlt werden, wenn sie der Erschließung eines größeren Areals dienen. Aber sie sollte später wie eine öffentliche Straße behandelt werden, was etwa die Erhaltung, Schneeräumung, Beleuchtung betrifft. Das ist ja eine öffentliche Leistung.
Bartl: Dennoch bin ich für mehr Transparenz, auch was die Zweckbindung der Gelder betrifft, die die Stadt von den Bauträgern bekommt. Denn es sollten nicht Budgetlöcher damit gestopft ­werden, sondern dieser Betrag sollte eben für ­Infrastrukturmaßnahmen im Bezirk vor­gesehen sein.
Amann: In diesem Zusammenhang sollte man auch über die Vertragsraumordnung sprechen. Sie könnte ein viel stärkeres ­Instrument werden, als sie es heute ist. Dabei geht es darum, dass ein Grundstückseigentümer die Wertsteigerung durch eine Baulandwidmung mit der Allgemeinheit teilt. Allerdings braucht es dabei Verhandlungsmacht aufseiten der Gemeinden. Lokale Bürgermeister sind meist überfordert, wenn es darum geht, sich gegen große Liegenschaftseigentümer in der Gemeinde durchzusetzen. Dafür brauchen sie Unterstützung von außen. Das könnte zum Beispiel ein Baulandfonds des Landes leisten. Die Vertragsraumordnung könnte ein so wirkungsvolles Instrument wie die Wohnbauförderung werden.

 

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