Versuch und Irrtum
Noch immer werden in Österreich neue Einkaufszentren entwickelt, obwohl Retail-Eigentümer und Manager eigentlich recht ratlos vor der Shoppingcenter-Zukunft stehen. Die Mutigen versuchen nach dem Trial-and-Error-Prinzip, was geht und was nicht.
Retail wird laut CBRE Österreich heuer die bedeutendste Assetklasse für Investoren. Und das, obwohl in den letzten Jahren jedem klar wurde, dass der Online-Handel gewaltig reinpfuschen wird und standardisierte Shoppingmalls ohnehin todgeweiht sind. Wie sehr und in welcher Art man aber reagieren muss, das vermögen keine Experten ernsthaft vorherzusagen. Die großen Mall-Entwickler beruhigen regelmäßig. Die zur Spar-Gruppe gehörende SES etwa meldet nach wie vor ein geringes Wachstum in Österreich und behauptet, dass jene Branchen, die am stärksten mit Online in Konkurrenz stehen, in den 28 SES-Shopping-Centern um 2,6 Prozent gewachsen seien (Drogerie/Parfümerie, Elektro-, Schuhe-, Textil-, Schmuckhandel). Beim Mitbewerber ECE verweist man auf Nachfrage der Immobilienwirtschaft darauf, dass ohnehin nur 1 bis 2 Prozent der Mietverträge umsatzabhängig wären. Und trotzdem: Selbst von ersten Händlern wie etwa dem Schuhhändler Görtz werden Forderungen laut, die Mietverträge flexibler – sprich kürzer – zu halten und die Fix- bzw. Umsatzmiete durch ein Frequenzmodell zu ersetzen. Die ECE begegnet den Herausforderungen mit einem ordentlichen Batzen Mut: Sie hat eine eigene Abteilung eingerichtet, die Innovationen erarbeitet. „Wir machen Trial and Error, wohlwissend, dass nicht alles klappt“, erzählt Sebastian Baumann, der Projektmanager der ECE Future Labs. Dabei versucht der Hamburger Konzern vor allem jene junge Zielgruppe zu verstehen, die „teilweise nicht mal mehr fernsieht, sondern sich mobil im Netz informiert“. Für Baumann ist klar, dass es nicht entweder On- oder Offline geben wird, die beiden Kanäle würden sich verzahnen, zum Beispiel im Flagship ein Produkt ansehen, aber übers Handy bestellen und bezahlen. Oder aber umgekehrt: online bestellen und im realen Geschäft abholen. Noch seien die Warenliefersysteme der meisten Händler allerdings nicht so weit. ECE hat daher eine Workaround-Lösung geschaffen, indem sie ihren Mietern ein iPad zur Verfügung stellt, das die eigene Händler-Software umgeht. Außerdem können Besucher der Test-Center ihre zusammengeshoppten Sackerl oder Pakete an einem ECE-Delivery Point abgeben und sie noch am selben Tag zwischen 19 und 21 nach Hause geliefert bekommen. Das kostet zwischen 3 und 6 Euro und macht vor allem dort Sinn, wo viele Kunden öffentlich unterwegs sind.
Viele digitale Goodies
Und dann gibt es natürlich einen Haufen an digitalen Versuchen, die Besucher für das Center zu begeistern. Das beginnt bei Orientierungssystemen (das Handy führt einen zum gesuchten Geschäft, in Zukunft möglicherweise auch mittels sogenannter iBeacons), geht über die digitale Infostelle (Terminals mit Videotelefonie zu einer echten Person – Avatare und Ähnliches floppten, weil sie laut ECE von den Kunden nicht angenommen werden) und reicht bis zu personalisierten Angeboten, die die potenziellen Kunden zum möglichst richtigen Zeitpunkt auf ihr Smartphone gepusht bekommen (zum Beispiel, wenn sie sich nahe dem EKZ befinden). Multimedialounges, gratis WiFi und Ähnliches brauchen nicht extra erwähnt werden, sondern sind ohnehin Standard. Auch die Spielplätze für Kinder sind digital geworden: Die Kleinen fahren auf Augmented Reality ab, wenn sie mittels Beamer auf den Boden projizierte Gegenstände einsammeln oder verschieben können und der Boden dann etwa mittels LEDs reagiert bzw. das System auch erkennt, wo sich die Kinder selbst befinden. In sechs ECE-Centern ist so ein digitaler Abenteuerplatz bereits Realität. Weniger erfolgreich waren Versuche der deutschen Shopping-Experten, Social Media ins Shoppingcenter zu integrieren. Den Check-in, bei dem der Besucher ein Foto von sich machen und automatisch zum Beispiel auf Facebook stellen lassen konnte, benutzte kaum jemand. Er ist schon längst wieder abgebaut. Problematisch waren laut Baumann auch Möglichkeiten, bei denen man Nachrichten aus dem Center schicken/posten konnte. Baumann: „In Essen mussten wir die Blacklist mit bösen Wörtern stark erweitern …“ Und was kommt als Nächstes? Derzeit bastelt die Hamburger Erfindertruppe an einer automatischen Lösung zur Parkabrechnung. „Das Parkhaus ist der erste und letzte Touchpoint zum Kunden. Wenn man sich hier unwohl fühlt, bleibt das im Gedächtnis“, meint Baumann. Ticketautomaten, bei denen man sich anstellen muss, das Ticket vielleicht runterfällt oder die man gar nicht auffinden kann, gehen also gar nicht. Mit RFID (Radio-frequency identification) bekommt der Kunde eine Karte zugeschickt, die er in die Sonnenblende des Autos stecken kann und dann ungehindert am Parkplatz hinein- und hinausfahren kann. Die Abrechnung erfolgt mittels Lastschrift. Die ECE will dieses System in den nächsten Monaten flächendeckend einführen.
Wachstum und kein Ende
Was der deutsche Shoppingcenter-Spezialist da alles ausprobiert, ist eine mutige und vor allem ehrliche Antwort auf die Frage nach der Zukunft. Bei 196 Centern im Management kann man da schon mal ohne großes Risiko ein paar Dinge versuchen. Anders hingegen, wenn man gleich ganze Center baut, finanziert oder kauft. Ob die Galleria Danubia in Hainburg oder City Gate – nach wie vor werden neue Center eröffnet und entwickelt. Perfect Shopping Neusee mit einer Mietfläche von ungefähr 21.000 Quadratmetern (45 Shops) und das Shopping Center Ried mit einer Geschäftsfläche von voraussichtlich 22.000 Quadratmetern kommen laut RegioData heuer noch auf den Markt. Auch in Parndorf wird noch ein weiterer Einkaufstempel gebaut (rund 21.000 Quadratmeter). 2,8 Millionen Quadratmeter EKZ-Fläche gab es schon 2014, und heuer wird diese Zahl abermals steigen, rechnet RegioData. Hinzu kommen da natürlich noch all die Refurbishments – von Auhof (bereits fertig) bis Huma (geplante Fertigstellung 2017, 50.000 Quadratmeter). Dabei hat Wien im internationalen Vergleich schon eine enorme Dichte an Einkaufszentren, nämlich 40 Quadratmeter pro 100 Einwohner. Berlin hat einen ähnlich hohen Wert, Paris hingegen liegt bei 18 und London gar bei 11. Über die vielen neuen Flächen macht sich der Innovationsmann von der ECE weniger Sorgen. Die Zukunftsfragen für ihn sind vielmehr, wie man die Waren(bestände) der Center ins Netz bekommt – Stichwort Online-Verfügbarkeit. Optimal wäre, wenn man in Google nach einem bestimmten Produkt sucht und dann nicht ein Online-Shop oder eBay gelistet werden, sondern in Echtzeit die Information erscheint, dass das Produkt im Shopping Center XY in drei Geschäften zum Preis von X Euro verfügbar sei. Dann wären mehr Flächen auch für den Konsumenten hilfreicher.