#2

TREND #2 DEMOGRAFIE

Immobilien für eine
alternde Gesellschaft

BASF entwickelt einen Ring aus Co-Working-Büros rund um seinen Hauptstandort. Dezentrale Arbeits- und Wohnformen fördern die regionale Entwicklung. Unser Gastautor Pekka Sagner fragt sich aber, wie es denn mit einem Innovationshub wäre, der sich nicht um die jungen Talente, sondern um die alten Hasen bemüht?
BASF entwickelt einen Ring aus Co-Working-Büros rund um seinen Hauptstandort. Dezentrale Arbeits- und Wohnformen fördern die regionale Entwicklung. Unser Gastautor Pekka Sagner fragt sich aber, wie es denn mit einem Innovationshub wäre, der sich nicht um die jungen Talente, sondern um die alten Hasen bemüht?

Wir alle wohnen – Unternehmen spielen dabei eine entscheidende Rolle. Und dabei sei, zumindest zunächst, sogar von Immobilienunternehmen abgesehen. Menschen zieht es dorthin, wo es Arbeit gibt, und Unternehmen brauchen Arbeitskraft dort, wo sie sind. Unternehmen bestimmen also, wo wir wohnen und – über die Höhe des Lohns – zu einem gewissen Teil auch wie wir wohnen oder zumindest wohnen könnten.

 

Im vordigitalen Zeitalter war die Wohnstandortentscheidung oftmals alternativlos. Die Menschen mussten dort wohnen, wo Arbeit angeboten wurde, und Unternehmen mussten dort teilweise sogar Wohnraum anbieten. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts hat beispielsweise die Gussstahlfabrik Krupp Arbeiterkolonien in Essen und Umgebung geschaffen, in direkter Nähe zum Fabrikgelände.1 Die Wohnraumversorgung zu dieser Zeit war sehr schlecht, was für viel Fluktuation unter den Mitarbeitern sorgte. Durch die Bereitstellung von Wohnungen vor Ort, zunächst für Führungskräfte und später für breite Schichten der Arbeiterschaft, schuf das Unternehmen Perspektiven für Angestellte und deren Familien. Beeinflusst von den Umweltbedingungen jener Zeit, ließen sich durch die realisierten Wohnbauprojekte sozial-wohltätige und wirtschaftlich-politische Beweggründe vereinen. Die Standortgebundenheit des Projekts und vergleichbarer Projekte – wie die Arbeiterkolonie der Textilfabrik ­Gminder in Reutlingen oder die Siedlung Alte Heide in München, unter anderem initiiert von der Bayerischen Motorenwerke AG und der Löwenbräu AG – war Beweggrund und Voraussetzung in einer Zeit, in der die Digitalisierung noch in weiter Ferne lag. Heute können Unternehmen ihren Mitarbeitenden ganz andere Angebote machen, die die Wohnstandortentscheidungen nicht minder stark prägen als die Angebote der Krupps und Gminders zu ihrer Zeit – die Digitalisierung macht es möglich, eine alternde Gesellschaft notwendig.

 

Das Start-up 1000 Satellites, entstanden aus BASFs Chemovator, entwickelt einen Ring aus Co-Working-Büros rund um den Hauptstandort in Ludwigshafen.
Co-Working wird jedenfalls ein Baustein in der Zukunft des Hofes (siehe unten) sein. Vorerst hat man sich provisorisch als Pop-up eingerichtet.

Nach (n)irgendwo – der Digitalisierung sei Dank

Insbesondere die Alten von morgen sind empfänglich für Angebote, die in ihren ­Kinderschuhen Telearbeit hießen und heute als Option auf Fully-remotes-Arbeiten in Stellenausschreibungen zu finden sind. Die großen Schritte hin zu einer immer wissensintensiveren Dienstleistungs­gesellschaft, die einen Großteil ihrer Arbeit am Computer verrichten kann, macht es möglich. Im Wettkampf um qualifizierte Arbeitskräfte – ja, wir haben immer noch einen Fachkräftemangel, auch wenn die Pandemie diesen Umstand zurzeit etwas in den Hintergrund gedrängt hat – kann dies ein ausschlaggebendes Argument sein. Arbeitgeber könnten durch mehr Arbeitsplatzflexibilität dazu beitragen, dass gut ausgebildete Coder, Forscher, Erfinder und andere Helden an der Tastatur ein ganzes Stück Wahlfreiheit gewinnen. Neben dem klassischen Homeoffice, dessen größte Schwäche, das hat uns die Pandemie gelehrt, der mangelhafte Austausch unter Kollegen ist, gibt es durchaus spannende Alternativen, wie das Konzept der Satellitenbüros. 

 

Das Start-up ­1000 ­Satellites, entstanden aus BASFs Chemovator, entwickelt einen Ring aus Co-Working-Büros rund um den Hauptstandort in Ludwigshafen. Die Idee ist, dass Mitarbeiter durch das Arbeiten in einem der Satelliten ihre Pendelzeit deutlich verkürzen können. Mitarbeiter des Unternehmens können die Büros kostenfrei nutzen. Dieses Hybridangebot zeigt das Potenzial für größere Unternehmen auf, dezentralere Wohnformen zu ermöglichen. Aber auch kleinere Unternehmen haben die Möglichkeit, ähnliche Konzepte zu nutzen. Sie können sich beispielsweise an Co-Working Spaces beteiligen und so vorhandene Infrastrukturen nutzen und durch ihre Teilnahme helfen, diese weiter­zuentwickeln. Co-Working-Initiativen entdecken dabei zunehmend den Trend zum ländlichen Raum für sich. 

Die Genossenschaftsprojekte KoDorf mit Standorten fernab der Top-7 in Altena, Erndtebrück, Homberg, Witten­berge und Wiesenburg zielen darauf ab, Großstädtern den ländlichen Raum als Arbeits- und Wohnort schmackhaft zu machen.2 Zielgruppe sind Digitalnomaden, die im Prinzip von überall aus arbeiten könnten, eine stabile und schnelle Internetverbindung vorausgesetzt. Das Konzept ist auch regionalpolitisch spannend, da KoDörfler durch ehrenamtliche Arbeit in den Regionen eingebunden werden. In eine ähnliche Richtung stößt die Genossenschaft CoWorkLand, ein Netzwerk aus Co-Working Spaces in ländlichen Regionen. Gefördert vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, bietet die Genossenschaft Unterstützung bei der Gründung und dem Betrieb eines Co-Working Space im ländlichen Raum. Der Zulauf für diese Form des Arbeitsangebots ist groß. Co-Working war zunächst ab Beginn der 2000er-Jahre ein Großstadtphänomen. Mittlerweile ist auch die Zahl der Co-Working Spaces im ländlichen Raum deutlich gestiegen, die voranschreitende Digitalisierung macht es möglich.

„Genossenschafts­projekte fernab der Top-Städte zielen darauf ab, Großstädtern den ländlichen Raum als Arbeits- und Wohnort schmackhaft zu machen.“

Ob Satellit, KoDorf oder CoWork­Land, Unternehmen, die ihren Mitarbeitenden die Möglichkeit zur freieren Wahl des Arbeitsorts geben, können auch einen essenziellen Beitrag zur Regionalpolitik leisten. Ein zunehmendes Maß an Standortunabhängigkeit bietet Chancen für den oftmals demografisch gebeutelten länd­lichen Raum genauso wie für die Ballungsräume. Auch wohnungspolitisch ginge dies in eine gewünschte Richtung: Während die Großstädte immer noch dem nicht erfüllten Bedarf des letzten Jahrzehnts hinterherbauen, stehen in ländlichen Räumen Wohnungen leer. Das günstige Preisniveau lockt die Großstädter nun seit einigen ­Jahren wieder vermehrt in Umlandregionen, von wo aus dann gependelt wird. 

 

Die Folge: Ein neuer Wettbewerb der Regionen … 

Gelingt es den Unternehmen, ihre Infrastruktur an die neue Digitalität anzupassen, scheint es möglich, dass diese Welle auch in peripherere Teile des Landes abseits der typischen Pendlerregionen überschwappt. Es könnte ein neuer Wettbewerb der Regionen um junge, gut ausgebildete Menschen beginnen. Dass dies alles andere als realitätsfern ist, zeigt ein Blick in die Zukunft, also nach Japan – das Land, das weltweit als Pionier des demografischen Wandels gilt. Eine schrumpfende Bevölkerung und Landflucht sind ­Phänomene, die das Land schon seit Langem beschäftigen, die Bevölkerungsdichte im urbanen Raum ist stetig gestiegen, ältere Generationen im ländlichen Raum blieben zunehmend allein zurück. Ein innovatives Instrument, wie dieser Entwicklung begegnet werden kann, stellt die digitale SMOUT Plattform des Unternehmens Kayac Inc dar. Diese bietet Unternehmen und Menschen die Möglichkeit, Regionen in einem Online­portal zu bewerben. Ein Matching-Verfahren soll Umzugsinteressierte mit Regionen verbinden, die wiederum mit ganz unterschiedlichen Argumenten werben können, um Interessierte anzulocken. 

 

Dies können konkrete Jobangebote sein oder aber das natürliche Idyll in einer Region. Die japanische Idee ließe sich ohne Weiteres für deutsche Regionen übernehmen, sind sich die beiden Länder doch hinsichtlich ihrer soziodemografischen Strukturen sehr ähnlich. Das Konzept einer Partnerbörse zwischen Regionen und Menschen – eine Art Regio-Tinder, oder vielleicht besser ein Regio-Elite-Partner – zielt in Japan hauptsächlich auf jüngere Teile der Bevölkerung. Regionen abseits der typischen urbanen Ballungsräume können so ihre Attraktivität bewerben, und durch den Zuzug junger Menschen wird dem demografischen Wandel in der entsprechenden Region entgegengewirkt.

Zwei Familien haben die Stadt hinter sich gelassen, einen riesigen Hof bei Braunschweig gekauft und entwickeln ihn jetzt gemeinsam mit CoWorkLand weiter. www.donnerburg15.de

ÜBER DEN AUTOR

Über den autor Der Essay wurde beim „Ideenpreis Immobilien für eine alternde Gesellschaft“ von der IREBS Immobilienakademie ausgezeichnet. Der Autor Pekka Sagner ist seit 2018 als Volkswirt im Institut der deutschen Wirtschaft in Köln beschäftigt. Dort forscht er im Kompetenzfeld Finanzmärkte und Immobilienmärkte zu wohnungspolitischen und immobilienökonomischen Fragestellungen. Zusätzlich zu seinen Forschungstätigkeiten ist er als Dozent an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, der IREBS Immobilienakademie und der Akademie Deutscher Genossenschaften tätig.

„Das Konzept einer Partnerbörse zwischen Regionen und Menschen – eine Art Regio-Elite-Partner – zielt in Japan hauptsächlich auf jüngere Teile der Bevölkerung.“

… auch um Ältere

Vor dem Hintergrund der immer weiter steigenden Lebenserwartung könnte aber genauso um ältere Teile der Bevölkerung geworben werden. Mit dem Renteneintritt der Babyboomer-Generation verliert der Arbeitsmarkt in kurzer Zeit eine große Menge an Expertise. Doch es wird eben auch Expertise frei: frei von der typischen Ortsgebundenheit durch den Arbeitsplatz. Gelänge es Regionen, diese Expertise anzulocken, könnten diese enorm profitieren, schließlich geht es um die vermögendste Generation des Landes. Anreiztechnisch ist ein Umzug in dieser Lebensphase zumindest schwierig, aber sicher nicht unmöglich. 

 

Gelingt es stark alternden Regionen, beispielsweise mit ihrer traumhaften Landschaft zu werben und gleichzeitig attraktive Wohnangebote vorzuhalten, so könnte eine Win-win-Situation erzielt werden. Denn weite Teile des ländlichen Raums haben das Problem, dass die lokale Infrastruktur nicht mehr nachgefragt wird, da die jüngere Generation wegzieht und eine Abwärtsspirale beginnt. Die Bereitstellung vieler Alltagsdienstleistungen lohnt sich nicht mehr, was die Region zunehmend unattraktiver werden lässt. Anstatt die Spirale von unten her, durch den Zuzug Jüngerer, aufzulösen, wie es seit Jahren vergeblich versucht wird, könnte diese also umgekehrt werden. 

Denn eine höhere Nachfrage nach Dienstleistungen durch mehr Ältere in einer Region würde auch Anreize für die Jüngeren nach sich ziehen, diese dort bereitzustellen. Dabei sollte das Potenzial der Älteren nicht unterschätzt werden, denn nicht nur deren Kaufkraft ist hoch, sondern auch deren Wissensschatz. Wie wäre es denn mit einem Inno­vationshub, der sich nicht um die jungen Talente, sondern um die alten Hasen bemüht? Das Potenzial eines erfolgreichen Wettbewerbs der Regionen um die alten Hasen ist enorm. 

Wer glaubt, diese Generation würde nur noch ihren ­Lebensabend genießen wollen, liegt falsch. Schafft es eine Region, zum Hub für die ältere Generation zu werden, so bringt dies auch einen enormen Investitionsbedarf mit sich. Die lokalen Infrastrukturen müssten ausgebaut und erneuert werden: alters­gerechter Neu- und Umbau würde boomen. Ein Zusammenschluss von Unternehmen und Kommunen, vielleicht inspiriert von der japanischen Zukunft, könnte dieses Potenzial ­heben.

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