Architektur wirkt
Wenn Architektur das Kreativsein, die Arbeit und die Produktivität unterstützen kann, dann ist sie wohl nirgendwo so wichtig wie in der Schule und bei Universitäten. Für den Geschäftsführer der Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) Hans-Peter Weiss ist das das tägliche Brot.
Herr Weiss, kann Architektur wirklich Einfluss darauf nehmen, wie man lernt, forscht und arbeitet?
Hans-Peter Weiss: Tatsächlich gibt es einen nachweisbaren Effekt auf den Lern- oder Arbeitserfolg, wie eine 2016 von uns in Auftrag gegebene Gallup-Studie bestätigt. Dafür wurden 800 Studierende und 184 Lehrende an allen 21 österreichischen Universitäten befragt. Über 80 Prozent der Lehrenden und 41 Prozent der Studierenden sehen demnach einen Zusammenhang zwischen Architektur und dem Lehr-, Lern- und Forschungserfolg. Entscheidend dafür ist die gelungene Verbindung von Architektur, Funktionalität und Nachhaltigkeit. Mit unseren Investitionen in den Bildungsraum leisten wir somit nicht nur einen spürbaren wirtschaftskonjunkturellen Beitrag im Bausektor, sondern schaffen auch optimale Rahmenbedingungen für Wissenschaft und Forschung.
Wie stellt man eine gute, funktionierende Architektur sicher?
Weiss: Oft wird der Begriff Architektur in seiner Bedeutung fehlinterpretiert. Denn „gute Architektur“ nach rein optischen oder künstlerischen Kriterien zu bemessen, greift jedenfalls zu kurz. Die durchdachte Anordnung der Räumlichkeiten und eine optimale Unterstützung der jeweiligen Abläufe des täglichen Lebens sind ebenfalls Teil eines ganzheitlichen Ansatzes. Architektonische Qualität bemisst sich aus Sicht des Gebäudeeigentümers beispielsweise auch an der Flexibilität, also wie sehr sich Grundrisse und Funktionen an wandelnde Arbeits-, Forschungs- und Lebensbedingungen in späteren Abschnitten des Gebäudelebenszyklus anpassen lassen. Darüber hinaus beschränkt sich gute Architektur nicht nur auf den Baukörper, sondern prägt mit einem maßgeschneiderten Freiraumkonzept auch den Raum zwischen den Gebäuden und bezieht die gesamte Umgebung aus städtebaulicher Perspektive mit ein.
Als Instrument für die Entscheidungsfindung, was „gute Architektur“ im Einzelfall bedeutet und welche Lösung die beste ist, hat sich der Architekturwettbewerb bewährt. Eine hochkarätige, fachkundige Jury sorgt für die Abwägung aller Interessen und ein hohes Maß an Objektivität und Transparenz. Wesentlich ist, Architekturentwicklungen stets im Fokus zu haben, diese keinesfalls aus den Augen zu verlieren.
Nennen Sie uns doch Beispiele, wie das dann bei der BIG konkret aussieht!
Weiss: Aktuelle Beispiele für besonders gelungene Projekte sind der neue Standort der Universität für angewandte Kunst in der Vorderen Zollamtsstraße, der für den heurigen VZ Bauherrenpreis nominiert ist, sowie das Türkenwirtgebäude der BOKU und das Bildungsquartier Aspern, die beide Finalisten für den Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit sind. Seit 2005 wurden unsere Bauten mit 42 Architekturpreisen ausgezeichnet.
Es sollte immer mehr klassenübergreifendes Lernen geben, Projekte finden Einzug in die Schulen. Wie haben sich die Schulgebäude in den letzten Jahren räumlich verändert?
Weiss: Der Schulbau hat sich – nicht zuletzt aufgrund sich verändernder Anforderungen an den Unterricht und an Nachmittagsbetreuung – deutlich gewandelt. Kasernenbauten mit starrem Raumprogramm gehören der Vergangenheit an. Heute bauen wir mehr und mehr Campusklassen, sogenannte Cluster- und Departmentstrukturen. In Clustern können mehrere Klassenräume durch flexible Trennwände entweder an Gangbereiche oder andere Klassen gekoppelt werden. Damit entsteht Raum für Projektarbeiten in kleineren Gruppen oder die Möglichkeit zu klassenübergreifender Zusammenarbeit. Beim Departmentkonzept werden Klassenräume fachspezifisch ausgestattet und als Abteilungen räumlich zusammengelegt. In diesem System kommen nicht mehr die Lehrer zu den Schülern, sondern umgekehrt. Das klassische Stammklassenmodell wird damit, zumindest in den Oberstufen und höher bildenden Schulen, abgelöst. Attraktive Aufenthaltsbereiche für Pausen oder zum Lernen befinden sich heute zunehmend in offenen Zonen in den Gängen und im Freien. So verfügt beispielsweise die Ferrarischule in Innsbruck über ein Freiluftatrium, das BG/BRG Josefstraße in St. Pölten über Pergola und Sitzstufen im Außenbereich, und an der neu gebauten AHS Wien West kann auch auf mehreren Terrassen unterrichtet und gelernt werden.
Darüber hinaus steigt die Nachfrage nach Räumen für die Nachmittagsbetreuung, wie Ausgabeküchen und größeren Mehrzwecksälen. Zudem versuchen wir bei unseren Projekten auch stets Maßnahmen für mehr Energieeffizienz und besseres Raumklima zu setzen. Dazu gehören zum Beispiel der Einsatz von LED-Beleuchtung, außenliegender Sonnenschutz, Isolierung, automatische Raumlüftung, die Ausstattung mit Photovoltaikpaneelen und vieles mehr.
Noch komplexer als Schulen sind Universitäten. Was sind im Nachhinein gesehen die größten Innovationen der neuen WU Wien?
Weiss: Der Campus WU war mit einem Investitionsvolumen von knapp 500 Millionen Euro unser bislang größtes universitäres Bauprojekt. Studierende, Lehrende und Anrainer finden hier mittlerweile alles, was man zum Leben braucht. Als vollintegrierte Campuslösung ist der Campus WU beispielgebend und findet mehr und mehr Nachahmung.
Hier setzte man auch auf große Architektur …
Ja, mit Bauten von Zaha Hadid, CRABstudio Architects, Atelier Hitoshi Abe, NO.MAD Arquitectos, BUS Architektur und Estudio Carme Pinós haben wir hier für rund 25.000 Studierende und 1.500 Universitätsmitarbeiter einen einzigartigen Campus realisiert. Seit der Eröffnung 2013 hat sich das Areal nicht nur zum Vorzeige-Universitätsstandort, sondern auch zu einem Wahrzeichen und Tourismus-Hotspot mit gesellschaftlichem Mehrwert entwickelt.
Smart Living gilt als sexy. Aber welche Rolle spielt die Haustechnik bei Bildungsbauten?
Weiss: Sie wird von Anfang an mitgedacht, da sie wesentlichen Einfluss auf die Nachhaltigkeit und die Lebenszykluskosten einer Liegenschaft hat. Das erfordert eine ganzheitliche Betrachtung der Gebäude, bei der eine Balance aus Ökonomie, Ökologie und soziokulturellen Aspekten berücksichtigt wird. Das neue Biologiezentrum der Universität Wien nutzt etwa als erstes Laborgebäude in Wien Abluft aus den Laboren zur Wärmerückgewinnung.
Die Haustechnik trägt wesentlich zur Ressourcenschonung bei, wenn das Nutzerverhalten entsprechend angepasst wird. Unser Objekt & Facility Management sorgt durch eine aktive Rolle in der Betriebsführung dafür, dass Ressourcen optimal genützt werden.
Die BIG setzt dabei auch auf Digitalisierung. So werden am Campus WU etwa mittels Smart Meter Rückschlüsse aus Energieverbrauchsdaten einzelner Haustechnikanlagen gezogen und daraus Handlungsempfehlungen in Hinblick auf Wartungsintervalle und Optimierungspotenziale ermittelt.
Gibt es Ideen, Uni-Flächen mit Co-Living, Co-Working oder Ähnlichem zu verbinden?
Weiss: Das ist bereits der Fall, da Universitäten immer öfter mit Partnern aus der Wirtschaft zusammenarbeiten oder auch universitäre Spin-offs entstehen, die natürlich Workspace und/oder Laborflächen benötigen. Wir gehen auf diese neuen Anforderungen ein und haben heuer mit dem LIT Open Innovation Center auf dem Areal der Johannes Kepler Universität Linz ein solches interdisziplinäres Zentrum fertiggestellt. Seit Mai werden die Labors und Shared-Office-Plätze nicht nur von Instituten der JKU genutzt, sondern auch von Partnerunternehmen aus Industrie und Wirtschaft. In Graz entsteht mit dem Zentrum für Wissens- und Innovationstransfer bis Ende kommenden Jahres ebenfalls eine Schnittstelle zwischen Karl-Franzens-Universität und Wirtschaft. Damit legen wir den Grundstein zu einem Innovations-Ecosystem für Start-ups und Unternehmen im universitären Umfeld.