Thesen zur Zukunft der Immobilienwirtschaft
Die verschiedenen Trends zeigen wir regelmäßig in der Immobilienwirtschaft auf. Tobias Just hat sie in diesem Gastkommentar mit Fakten belegt, miteinander in Beziehung gesetzt und auch das große Bild, warum welcher Trend in Zukunft wichtig sein wird, skizziert.
Aktuell bestimmt die Digitalisierung die Entwicklung vieler Branchen, also der Nutzer gewerblicher Immobilien. Alles, was ein Roboter oder ein Algorithmus besser erledigen kann als ein Mensch, wird künftig durch Maschinen erledigt werden. Die Industrialisierung könnte hier als Blaupause für die wahrscheinliche weitere Entwicklung in vielen (Büro-)Dienstleistungsbranchen stehen: In der ersten Phase der Industrialisierung stand die Massenproduktion im Mittelpunkt, in der zweiten Phase war es die personalisierte Massenfertigung. Bei der Digitalisierung wird es wohl ähnlich ablaufen, erlauben digitale Prozesse nicht nur gewaltige Größenvorteile, sondern eben durch die umfangreiche Information maßgeschneiderte, individualisierte Produkte.
Diese Personalisierung bedeutet aber nicht, dass sich das Wettrennen um Marktmacht und schnelle Markteintritte verlangsamt – das Gegenteil ist wohl richtig. Gerade weil Unternehmen weltweite Märkte erreichen können, wird sich der Wettbewerb eher intensivieren. Dies gilt für die Kunden der Immobilienwirtschaft, und es gilt ebenso für die Unternehmen der Immobilienwirtschaft – auf allen Wertschöpfungsstufen. Natürlich gibt es Branchen, die diese Entwicklung stärker und früher zu spüren bekommen als andere. Überall dort, wo menschliche und direkte Interaktion wichtig ist, und überall dort, wo regionale Expertise zählt, werden ortsunabhängige Algorithmen weniger Angriffsfläche erhalten.
Dies ermöglicht ein höheres Maß an Effizienz und Effektivität, und beides wird zu einem weiteren Zuwachs an Wohlstand führen, weil Reibungsverluste reduziert werden können. Es wäre gleichwohl fahrlässig zu hoffen, diese Prozesse würden automatisch für alle Marktakteure zu zufriedenstellenden Verteilungsergebnissen führen. Und es wäre ebenso fahrlässig zu glauben, der weltweite Ressourcenverbrauch wäre dadurch verringert. Gut möglich, dass die aktuellen Verteilungskämpfe zwischen Arm und Reich, Stadt und Land, Nord und Süd verstärkt werden. All dies hätte massive Implikationen für die Immobilienwirtschaft: Wie werden die Nutzer arbeiten, einkaufen, wohnen? Welche Leistungen werden automatisiert, und welche Fertigkeiten und welches Wissen werden knapp sein, also eine Überrendite ermöglichen? Welche gesellschaftlichen Unterschiede sind wir bereit, innerstädtisch und zwischen Städten zu tragen? Die Herausforderung wird nicht das mitunter vermutete Ende der Arbeit sein, sondern die veränderte Verteilung der Arbeit und der Wertschöpfungsgewinne. Aus diesen Fragen lassen sich fünf Thesen für die Immobilienwirtschaft für die nächsten Jahrzehnte ableiten.
Fünf Thesen für die nächsten zwei Jahrzehnte
Insbesondere für Gewerbeimmobilien ändert sich die Nutzung schneller als in der Vergangenheit. Immobilien müssen mehr Flexibilität ermöglichen, weil alte Nutzungen schneller obsolet werden. Ähnlich wie grüne Gebäude eine Nachhaltigkeitsprämie verdienen, weil sie eine Versicherung vor möglicher Regulierungsverschärfung in der Zukunft darstellen, rechtfertigen flexibel umnutzbare Gebäude eine Prämie dafür, dass sie vor unabsehbaren Strukturveränderungen in der Zukunft schützen. Dies betrifft nicht nur technische Aspekte, sondern auch juristische und finanzielle Flexibilität. Die Begeisterung für kooperative Nutzungsmodelle (Co-Living, Co-Working) sind Ausdruck dieser Entwicklung. Die Unsicherheit, ob die Preise angemessen sind, spiegelt indes die Suche nach angemessenen Modellen zur Bewertung der Flexibilitätsprämie.
Um die Anpassungsfähigkeit von Immobilien zu erhöhen, ist minutiöse Überwachung der Gebäude wertvoll, und zumindest eine feinteiligere Vermessung der Nutzerbedürfnisse. Galt früher für die gute Immobilieninvestition der Dreiklang aus „Lage, Lage und Lage“, gilt wohl in Zukunft: „Lage, Technik und Service“.
Dieser neue Dreiklang setzt ein höheres Maß an Arbeitsteilung und damit an Professionalität und wohl auch Institutionalisierung in der Immobilienwirtschaft voraus. Dies dürfte die Konzentration in der Branche erhöhen. Kapital hat keine regionalen Präferenzen und die Digitalisierung ermöglicht viel schnellere und datengetriebene Immobilienmarkt- und Objektanalysen. Dies könnte zu mehr Transaktionen, vor allem aber zu schnelleren Marktreaktionen und somit zu heftigeren Immobilienmarktzyklen führen, weil mehr Kapital den rein datengetriebenen Trampelpfaden folgen wird.
Innerstädtische Flächen sind knapp. Bei rein marktwirtschaftlicher Flächensteuerung werden produktive Flächen weniger produktive Flächen verdrängen. Doch weil vermeintlich unproduktive Plätze, Opernhäuser, Kathedralen und Parkanlagen Städte erst wirklich lebenswert machen, brauchen wir ein Korrektiv, um sicherzustellen, dass öffentliche Güter, die nicht über Marktprozesse bereitgestellt werden können, weiterhin angeboten werden. Fehlt dieses öffentliche Korrektiv, dürften innergesellschaftliche Reibungen und Verteilungskämpfe zunehmen.
Wir leben in Deutschland und in Österreich in der bestausgebildeten und wohlhabendsten Gesellschaft aller Zeiten. Das reale Einkommen ist heute etwa zehnmal höher als vor 100 Jahren. Dies ermöglicht, in sehr attraktiven Städten zu leben. Müssten wir uns aussuchen, in welchem Jahrhundert wir zufällig einer städtischen Arbeit nachgehen müssten, wir würden uns überwiegend für das 21. Jahrhundert und neue bzw. sanierte Wohnungen entscheiden. Doch dies bedeutet nicht, dass wir nicht noch schönere Städte schaffen könnten. Neben der notwendigen Diskussion über erschwingliches Wohnen und bezahlbare Gewerbeflächen sollten wir auch die Diskussion über Immobilien als Konsumgut führen und damit über die Ästhetik und Baukultur in unseren Städten.