Zu viel des Guten
Überregulierung, zu viele Verordnungen, Gesetze und Vorschriften prägen den Baualltag. Sie sind für ein gutes Drittel des Anstiegs der Miete verantwortlich. Jetzt wird diskutiert, wie man es besser machen kann.
Regeln sind kein Selbstzweck, weshalb es nicht mehr Regeln geben soll als erforderlich. Das versprach zumindest die Europäische Union. Doch auch wenn im Zuge der Entbürokratisierung eine Vielzahl an Vorschriften gelöscht oder reduziert wurde, entstanden immer wieder neue, wie zum Beispiel aktuell für – oder gegen – den Einsatz und die Verwendung von Drohnen. Die Bau- und Immobilienwirtschaft klagt seit Jahren über die Normenflut und die Pattsituation, in der sich die Ausführenden und Planer befinden. Denn landet ein Bauvorhaben vor Gericht, werden immer wieder als Basis für die ordentliche Ausführung Normen herangezogen. Rechtsanwalt Stephan Heid bestätigt die unglaubliche Regelungsdichte am Bau: „Das beginnt bereits bei den gesetzlichen Vorschriften, da durch die neun Bauordnungen in jedem Bundesland unterschiedliche Anforderungen an die Bauwirtschaft gestellt werden.“ Ein Ausweg: Das Austrian Standards Institute initiierte heuer in Kooperation mit der Bundesinnung Bau das „Dialogforum Bau Österreich“. Ideen für klare und einfache Bauregeln können direkt eingebracht werden. Anfänglich fand eine Online-Diskussion zur Problem- und Potenzialsuche am Bau statt. Elisabeth Stampfl-Blaha, Direktorin von Austrian Standards, berichtet von mehr als 225 Vorschlägen und 189 dazugehörigen Kommentaren, die in dieser Phase eingebracht wurden: „Konkrete Normen wurden dabei ebenso angesprochen wie zum Beispiel das Verhältnis von ÖNORMEN zu anderen Regelwerken.“
Komplexe Fragestellungen
Andreas Kovar, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Kovar & Partners, das die Online-Diskussion moderiert und betreut, hebt den innovativen Ansatz hervor, mit dem im Rahmen dieser Diskussion komplexe Probleme analysiert werden: „Seit Jahren wird immer wieder pauschal kritisiert, dass es in Österreich zu viele oder zu komplizierte Bauregelungen gibt. Mit diesem Projekt werden ganz konkrete Lösungen aufgezeigt.“ Alle Vorschläge werden nach Abschluss des Online-Forums in Arbeitsgruppen behandelt, manche sind bereits mit ihrer Arbeit fertig, manche werden im Herbst noch aktiv. Die Ergebnisse werden im Herbst 2016 einer neuerlichen Online-Konsultation unterzogen (siehe Kasten). Das Baurecht, die OIB-Richtlinien, die deutlich gestiegenen technischen Ansprüche durch die neun Bauordnungen wie auch eine Vielzahl an speziellen Richtlinien für die Bauwirtschaft zum Beispiel für den Klimaschutz sind laut Experten unter anderem die Gründe für die Kostenexplosionen am Bau. Eine Kosten- und Zeitersparnis sieht die Bauwirtschaft beispielsweise in der Übernahme aller OIB-Richtlinien in der jeweils geltenden Fassung von allen Bundesländern und der Einführung eines ständigen Verbesserungsprozesses unter Einbindung aller Bundesländer und der Beiziehung von Experten und Praktikern aus der Bauwirtschaft. Heid erläutert dazu: „Die OIB-Richtlinien, welche zu einer Harmonisierung der bautechnischen Vorschriften in Österreich führen sollen, führen derzeit aufgrund der (zulässigen) Abweichungsmöglichkeiten nicht zu dem gewünschten Grad der Vereinheitlichung bzw. der Deregulierung. Bei der Vielzahl an Regelungen für Bauvorhaben sind zudem – neben den unzähligen ÖNORMEN – auch die diversen technischen Richtlinien, wie zum Beispiel die TRVB (Technische Richtlinien vorbeugender Brandschutz), zu beachten.“
Bedrohter Wohnbau
Die Überregulierung bedroht auch den heimischen Wohnbau. Kleine und mittelständische Unternehmen haben Probleme, unter Erfüllung aller Vorschriften gewinnbringend zu arbeiten. Gerade im Wohnbau ist es aufgrund der Normenflut nicht nur zu einer Überregulierung der bautechnischen Regelwerke, sondern auch zu einem drastischen Anstieg der Baukosten gekommen, ist Karl Wurm, Obmann des Österreichischen Verbandes gemeinnütziger Bauvereinigungen, GBV, überzeugt. Dadurch ist das leistbare Wohnen zunehmend unter Druck geraten. In den vergangenen fünf Jahren haben sich die Baukosten um ein Drittel auf über 1.800 Euro pro Quadratmeter erhöht. Das bedeutet einen Mietpreisanstieg in diesem Zeitraum um 1 Euro auf 7,2 Euro pro Quadratmeter. Ein gutes Drittel davon ist auf erhöhte Anforderungen im bautechnischen, auf Normen gestützten Regelwerk zurückzuführen. Die Gemeinnützigen haben bereits mehrmals Kosteneinsparungspotenziale im Bereich der ÖNORMEN aufgelistet. Die größten „Brocken“ werden hier in den Anforderungen zum barrierefreien Bauen und Schallschutz geortet. Im Gegensatz zu den OIB-Richtlinien lässt sich ein ähnlicher „Bewegungsspielraum“ auf Ebene der ÖNORMEN nicht ausmachen.
Nicht alles ist leistbar
So sehr Wurm das neue Normengesetz in seiner grundsätzlichen Ausrichtung begrüßt, ist er davon überzeugt, dass beim Kostenaspekt der Normerstellung noch nachjustiert werden sollte. So spricht sich Wurm für eine Aufnahme einer Folgekostenabschätzung aus. Denn generell muss bei künftigen Normen mehr Kostenbewusstsein und wirtschaftlicher Realismus Einzug halten, ist Wurm überzeugt: „Nicht alles, was wünschbar ist, ist auch leistbar. Vor jeder neuen Norm sollten künftig folgende Fragen geklärt werden: Was kostet sie? Was bringt sie den Bewohnern? Was nützt sie?“ Dann, so Wurm, würde wohl auch der vielerorts kritisierte lobbygesteuerte Normungsprozess auf ein akzeptables Maß reduziert werden. „Wenn wir leistbares Wohnen auch weiterhin sichern wollen, müssen wir bei den kostentreibenden Normen die Bremse ansetzen und uns vor Augen führen, dass nicht alles, was technisch machbar ist, auch für den Endverbraucher denselben Stellenwert hat“, so Wurm. „Das neue Normengesetz könnte dazu ein wichtiger Schritt sein.“
Nach Oben | zurück