Umweltschutz fordert Bauwirtschaft
Die Auswirkungen des Engagements Österreichs in puncto Klimaziele und Umweltschutz bekommt vor allem die Bauwirtschaft zu spüren. Kleinere Bauunternehmen stöhnen unter den Anforderungen aufgrund der Umweltschutzauflagen auf der Baustelle – Bauträger stehen jedoch hinter den Umweltansprüchen. Doch nicht alles ist so grün, wie es aussieht.
Prominentestes Musterbeispiel für umweltgerechtes Bauen ist zurzeit die Seestadt Aspern. Nach höchst ambitionierten Umweltschutzkriterien entstehen Wohnbauten für rund 30.000 Bewohner. Das Engagement beginnt bereits mit der Baulogistik. Das Aushubmaterial, 600.000 Tonnen Schotter, Sand und Erde der Seebaustelle, wird zur Geländemodellierung genutzt, für Terrassen, die einerseits Naherholungsgebiet werden sollen und zugleich als Lärmschutz fungieren. So viel Material wie möglich wird vor Ort wieder verwendet – diesen Anspruch müssen auch alle vor Ort tätigen Unternehmen vertraglich gewährleisten. Selbst die Rollbahnen des alten Flugfeldes werden im eigenen Baulogistikcenter für den Straßen- und Wegebau recycelt. Über die gesamte Bauzeit sparen diese Maßnahmen rund 200.000 Lkw-Fahrten. Überschüssiges Material wird größtenteils mit der Bahn abtransportiert. Der Bauherr der Seestadt Aspern, die Wien 3420 AG, errichtete ein eigenes Bahnverladegleis für den An- und Abtransport von Materialien.
Alle Baufirmen, die in der Seestadt Aspern bauen, können die gemeinsamen Betonmischanlagen verwenden. In Aspern werden Wohnbauträger vertraglich gezwungen, die Umweltschutz-anforderungen zu erfüllen.
Baulogistik als neue Nische
Es hört noch nicht auf, weitere Anforderungen sind: Alle Baumaschinen müssen bei Lärm und Emission strenge Kriterien erfüllen. Dank mehrerer Schallpegel-Messstellen und regelmäßiger Wasserproben erfährt das Baulogistik-Team auftretende Probleme umgehend. Die Befeuchtung von Baustraßen und -feldern bindet Staub, an den wichtigsten Ausfahrten gibt es Reifenwaschanlagen. 15 Experten im Baulogistik- und Umweltmanagement steuern den umfangreichen Betrieb: Hier finden sich Einrichtungsflächen für schweres Gerät sowie eine breite Palette an Baustellenequipment. Alle in der Seestadt engagierten Baufirmen können beide Betonmischanlagen nutzen, die mit einer täglichen Lieferleistung von 2.000 Kubikmeter Beton einen raschen Baufortschritt sicherstellen. Zwei Schrankenanlagen erfassen und überprüfen Fahrdaten und die Schadstoffklasse von Lkw und sonstigen Arbeitsgeräten. Nur mit gültigen RFID-Chips kann passiert werden. Thomas Romm, Romm/Mischek ZT, ist einer der Manager vor Ort: „Bei der Betrachtung des Umgangs mit Umweltschutzvorschriften in der Immobilien- und Bauwirtschaft sollte man zwischen Naturschutz und Umweltschutz unterscheiden: Während es beim Naturschutz angesichts eines täglichen Verbrauchs von 20 Hektar für Bauland und Verkehrsflächen in Österreich um die brennende Frage geht, wie der Mensch mit Natur umgeht, ist der Umweltschutz gerade in Großprojekten nur eine Sache der Leistungsbeschaffung.“
Zu schön, um wahr zu sein?
Dass nicht alles so „grün“ ist, wie es aussieht, gesteht niemand offiziell, erst nach näherem Nachfragen räumen Bauunternehmen ein, dass ja alle Umweltansprüche ganz gut klingen, aber dass sie auf eine Baustelle wie Aspern natürlich nur ihre besten Lkw schicken. Rund zwei Drittel der Gesamtmenge des Straßengüterverkehrs in der Region Wien wird durch die Ver- und Entsorgung von Baustellen verursacht. Baustellenverkehr macht zwar nur etwa 1 Prozent der in Wien gefahrenen Fahrzeugkilometer aus, ist aber die Ursache für nahezu 10 Prozent der Schadstoffemission. Die Baukosten bei erhöhten Umweltschutzanforderungen steigen, so die Meinung vieler Bauunternehmen, die in diesem Zusammenhang jedoch ungenannt bleiben wollen. Selbst bei einem Kleinprojekt ist das Bauunternehmen mit einer Fülle von unterschiedlichen Rechtsgrundlagen beschäftigt, zum Beispiel Altlastensanierungsgesetz Novelle 2010; Abfallwirtschaftsgesetz 2002; Deponieverordnung 2008; Abfallnachweisverordnung 2003; Bundesabfallwirtschaftsplan 2011; Abfallverzeichnisverordnung etc., was die Komplexität des Bauvorhabens und damit die Kosten für die ausschreibende Stelle erhöht, weil die Unternehmen im Zweifelsfall Experten hinzuziehen müssen.
Wenig Aufwand, hohe Wirkung
„Als die Stadt Wien vor zehn Jahren mit einem Pilotprojekt von ca. 1.000 Wohnungen in Simmering für Rumba, Richtlinien für umweltfreundliche Bauabwicklung, begann, wurde sichtbar, was für eine große Umweltwirksamkeit Vorgaben zur Bauführung haben. Die Mehrkosten lagen damals bei zirka 1 Prozent. Heute, 10 Jahre später, sind vor allem Themen der Kreislaufwirtschaft und damit neue Win-win-Situationen hinzugekommen. Umweltmanagement und Baulogistik verursachen zwar Kosten für Planung und Bau, bauplatzübergreifende Strategien für ein nachhaltiges Massenstrom-Management bieten aber relevante Einsparungspotenziale. Allerdings können diese Potenziale kaum auf Objektebene, sondern nur durch Einbeziehung mehrerer Bauplätze und der dazugehörigen Infrastrukturprojekte entstehen. Die kritische Größe liegt bei zirka 40.000 Kubikmeter Bruttogeschoßfläche; das wäre praktisch jeder Bauträgerwettbewerb. Daher ist die umweltfreundliche Bauabwicklung im geförderten Wohnbau seit Jahren Teil des Verfahrens“, erklärt Romm.
Neuer Ansatz: Miteinander
Der Knackpunkt für die umweltgerechte Baustelle ist also die Kooperation von Projektentwicklung und Bauprojekten, die – wenn sie gelingt – durchaus neue Geschäftsmodelle in der Bauwirtschaft generieren kann. „Ein Beispiel dafür ist die Verwertung der Aushubkiese in der Seestadt Aspern durch eine eigens dafür ausgeschriebene Ortbetonanlage zur Deckung sämtlicher Betongüten – ein Novum im österreichischen Hochbau. Die Fläche hat der Entwickler bereitgestellt, die Ausschreibung wurde von 20 Bauwerbern gemeinsam abgewickelt, die Beauftragung erfolgte durch die Baufirmen“, so Romm. Überzogene Ansprüche in puncto Umweltschutz – zu starke Regulierung und Verrechtlichung am Bau? „Einerseits führen“, so Nikolaus Weselik, CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte, „regulatorische Vorschriften klar in die richtige Richtung, wie zum Beispiel beim ressourcenschonenden Bauen, der Energieeffizienz oder auch der Verwendung ökologischer Baustoffe. Andererseits wird es bei Bauprojekten aber immer Emissionen geben, das ist auch mit immer weiter gehenden Vorschriften nicht zu verhindern. Das Thema umweltgerechtes Bauen geht ja bis in den Vergaberechts- und Förderrechtsbereich hinein – es werden Verträge unterschrieben, die Praxis sieht dann allerdings oft etwas anders aus. Die Einhaltung der umweltschutzrechtlichen Vorschriften kostet den Bauunternehmer natürlich auch etwas, oft muss dann letztlich dafür in anderen Bereichen, wie zum Beispiel beim Personal, gespart werden. Manche sagen zu einem Auftrag Ja, wissen aber bereits vorab, dass sie die Verpflichtungen nicht bedingungslos erfüllen können. Unternehmer, oft kleinere und mittlere Gewerbebetriebe, stehen dann oft mit dem Vorhaben vor dem Rechtsanwalt, um aus bestimmten Vertragspunkten wieder herauszukommen.“ Weselik geht davon aus, dass auch mit den jüngst erlassenen verbraucherrechtlichen Verschärfungen ein weiterer Dokumentationsaufwand für den Unternehmer entstehen wird, der vor allem für kleinere Unternehmen eine zusätzliche Hürde sein wird. Dies betrifft vor allem eine Reihe bestehender neuer vorvertraglicher Informationspflichten, die vom Unternehmer eingehalten werden müssen, aber auch besondere Vorschriften bei der Durchführung dringender Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten.
Mehrkosten durch Umweltansprüche
Michael Pech vom Österreichischen Siedlungswerk ÖSW ist absoluter Verfechter „grüner Baustellen“, das Unternehmen hat zahlreiche innovative Maßnahmen und diesbezügliche Projekte vorzuweisen. Auch er räumt aber zugleich ein, dass die anspruchsvollen Umweltschutzauflagen für manche kleinere Bauunternehmen eine Hürde sind, weil diese zum Beispiel auch nicht über mobile Aufbereitungsgeräte etc. verfügen. „Noch ist die Bauwirtschaft nicht vollständig auf die umweltfreundliche Baustelle eingestellt. Natürlich, wenn in der Ausschreibung ein Euro-V-Lkw steht, kommt dieser Lkw auch zum Einsatz – aber die restlichen Schmutz-Lkw? Die sind vermutlich auf anderen Baustellen unterwegs. Das heißt, für das eigene Gewissen ist diese Praxis gut – aber letztendlich funktioniert das umweltfreundliche und ressourcenschonende Bauen noch nicht vollständig. Vor allem verteuert sich derzeit ein Projekt noch durch die Umweltansprüche – die Mehrkosten liegen sicher unter 1 Prozent der Baukosten, sind aber dennoch Kosten, die wir ja in das Projekt mit einberechnen müssen“, so Pech. Das ÖSW wickelt eine Vielzahl an Wohnbauten ab, wo die Umweltansprüche berücksichtigt werden, zuletzt im Sonnwendviertel bzw. derzeit am Mühlgrund II – „bei vielen Projekten wenden wir jedoch ein sogenanntes „Rumba light“ an, das bedeutet, dass es etwas vereinfachtere, praxisorientierte Regeln gibt.“ Doch das ÖSW ist bereits einen Schritt weiter – längst wird in Ausschreibungen festgehalten, dass Verbundstoffe möglichst vermieden werden sollen, um den nächsten Generationen weniger Sondermüll zu hinterlassen und den ökologischen Footprint zu verringern. Eine nachhaltige Sichtweise, die die Entwicklung von umweltfreundlichen Baustellen vorantreiben wird. Die Ansprüche an das Bauen forcieren vor allem jedoch ein Umdenken bei Bauträgern, die sich mehr als bis dato mit der Baustellenlogistik an sich auseinandersetzen müssen
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