Fast alle Gutachten sind mangelhaft

Erschreckendes Ergebnis einer Masterthese, die Gutachten zur Bewertung von Immobilien analysierte: Keines der untersuchten Gutachten erfüllt alle notwendigen (und eigentlich gesetzlich geforderten) Kriterien.

Eine der zentralen Fragen bei Immo­bilien ist ja, wie viel die Liegenschaft wert ist. Gutachten sollen diese Frage klären. ­Logisch, dass diese ­Verkehrswertgutachten einer einheitlichen Methodik folgen müssen. Um dies zu gewährleisten, gibt es Gesetzes- und Normvorgaben, die sich generell auf den Inhalt beziehen, nicht aber auf den formalen Aufbau oder auf eine Schematisierung der Gutachten. Die Sachverständigen können demnach einen gewissen Freiraum nutzen, die Gutachten ­indivi­duell anzufertigen. Alle Sachverständigengutachten für gerichtliche Zwecke haben aber den Anspruch an die Vorgaben der Exekutions­ordnung (EO) und an eine formal sowie inhaltlich, dem Liegenschaftsbewertungsgesetz (LBG) entsprechende Gestaltung. Im internationalen Kontext wird die Immobilienbewertung durch die Standards von TEGoVA, IVSC und RICS reguliert. Diese Standards enthalten die Regelungen der europa- und weltweit tätigen Immobiliensachverständigen und sind daher für rein nationale, sprich in diesem Fall österreichische, Gerichtsverfahren nicht zwingend anzuwenden. In der von Marie-Helen Kutning durchgeführten Untersuchung lag nämlich das Hauptaugenmerk ausschließlich auf den gesetzlich verpflichtenden Vorgaben.

Inhalte eines Gutachtens
Welchen Anforderungen ein Gutachten gerecht werden sollte, wird im Liegenschaftsbewertungsgesetz (LBG), in der ÖNORM B 1802/-2 und der Exekutions­ordnung festgehalten. Zusammen­gefasst sind die wichtigsten Elemente eines Gutachtens:
• Zweck des Gutachtens
• Besichtigungs- und Bewertungs­stichtag, anwesende Personen
• Verwendete Unterlagen
• Befund inkl. Beschreibung der ­Wertbestimmungsmerkmale
• Angabe und Begründung des ver­wendeten Wertermittlungsverfahrens
• Vergleichswertverfahren
• Anführung der zum Vergleich herangezogenen Sachen und Beschreibung der Wertbestimmungsmerkmale
• Angabe der Kaufpreise und ­Be­gründung der Kaufpreisberichtigung
• Begründung der Zu-/Abschläge
• Ertragswertverfahren
• Begründung des Kapitalisierungs­zinssatzes und -faktors
• Sachwertverfahren
• Angabe der Raum-/Flächen­meter­preise/Indizes
• Angabe von Baumängeln/-schäden, rückgestautem Reparaturbedarf, technischer/wirtschaftlicher Wert­minderung
• Bewertung/Beschreibung/Begründung von Rechten und Lasten, deren Vor-/Nachteile und Dauer
• Schätzungsanordnung, -vorbereitung, -umfang (Liegenschaftswertermittlung mit und ohne Belastungen)
• Schätzung und Beschreibung des Liegenschaftszubehörs
• Schätzungsvornahme im ­Zwangsversteigerungsverfahren
• Lageplan, Gebäudegrundriss und mindestens ein Bild

Ziel: rasche Nachvollziehbarkeit

Sie analysierte in ihrer Abschlussarbeit, ob die für die Gerichte angefertigten Gutachten die formalen Vorgaben erfüllen und ob sie nachvollziehbar sind – immer­hin sollte das Gericht ja letztlich das Gutachten rasch erfassen und ­verstehen können. Mit Hilfe der festgelegten ­Kriterien, die sich aus den erwähnten Anforderungen des LBG, der ÖNORM B 1802/-2 und der EO ableiten lassen, untersuchte Kutning also insgesamt 207 Gerichtsgutachten in Zwangsversteigerungen von 108 Sachverständigen aus acht öster­reichischen Bundesländern (ausgenommen Wien) hinsichtlich ihrer Grundlagen, ihrer allgemeinen Angaben, ihres Befundes und ihrer Wertermittlung.

Dramatische Ergebnisse

Die Analyse ergab, dass in keinem der 207 Gutachten alle notwendigen Kriterien erfüllt wurden. Bei allen drei Hauptbereichen (allgemeine Angaben, Befund und Wertermittlung) wurden lediglich in einer Expertise über 90 Prozent aller Bewertungserfordernisse angegeben. Der überwiegende Teil wies nur eine ­Komplettierung von 50 bis 80 Prozent auf. Im Hinblick auf die allgemeinen Angaben gaben immerhin 70,5 Prozent der Sachverständigengutachten Auskunft über die geforderten Informationen. Die Befundaufnahme war nicht einmal in 10 Prozent der Fälle deckungsgleich mit den gesetzlichen und normierten ­Regelungen. Der Großteil wies hierbei eine Vollständigkeit von 70 bis 80 Prozent auf. Bei der Analyse der Wertermittlung wies nur ein einziges Werturteil eine beinahe hundert­prozentige Vollständigkeit auf. In der Wertermittlung lag die Integralität der notwendigen Ausführungen vorwiegend zwischen 50 und 80 Prozent. Punktum: Die Untersuchung zeigte auf, dass die Umsetzung der gesetzlichen bzw. normierten Vorgaben und der Nachvollziehbarkeit ein beträchtliches Ausmaß an mangelhaften Verläufen aufwies.

Ursachensuche

Stellt sich die Frage: Warum ist das so? Kutning macht als eine Ursache die nicht ausreichend konkretisierten Gesetzes- und Normtexte, aus denen sich unzählige formale und inhaltliche Anfertigungs­modalitäten ergeben, aus und fordert daher nicht nur eine allgemeine Optimierung der Sachverständigengutachten, sondern auch eine Konkretisierung des LBG und der ÖNORM B 1802 hinsichtlich einheitlicher Strukturen und eines einheitlichen Bewertungsschemas. Auch ein verbindlicher Leitfaden für eine systematische Erstellung der gerichtlichen Verkehrswertgutachten wäre laut der FH-Kufstein-Absolventin ein Weg, um ein effizienteres Arbeiten und Urteilen aller Beteiligten, insbesondere der Gerichte, zu gewährleisten.

Über die Autorin
Marie-Helen Kutning, M.A. hat die Untersuchung im Zuge des Masterstudiums an der Fachhochschule Kufstein durchgeführt und als Master­arbeit verfasst. Betreut wurde die Absolventin des Studienganges Facility- und Immobilienmanagement von Asc. Prof. (FH) MMag. (FH) David Koch. Die Arbeit ist nominiert für den Ausbildungspreis der FMA und IFMA Austria.

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